Der Klimawandel in Ostfriesland

Der Klimawandel wird Ostfriesland auf eine Weise treffen, gegen die auch eine Erhöhung der Deiche nicht mehr hilft.

Trotz der Küstenlage konnte man im Altkreis Norden dem durch den Klimawandel bedingten Anstieg der Meeresspiegel gelassen entgegen sehen. Zwar liegen weite Teile der Region auf oder gar unter dem Meeresspiegel, der nach wissenschaftlichen Einschätzungen bis zum Jahr 2100 um bis zu zwei Meter ansteigen wird. Allerdings werden die Deiche auch den damit einhergehenden schwereren Sturmfluten standhalten. Der Weser-Kurier berichtete vergangene Woche von einer Gefahr, die viele nicht auf dem Schirm haben, wenn es um die Folgen des Klimawandels für Ostfriesland geht.

Salzwiese in der Leybucht. (Foto: gf / cc-by-sa)
Salzwiese in der Leybucht. (Foto: gf / cc-by-sa)

Internationale Wissenschaftler um Prof. Dr. Michael Kleyer von der Universität Oldenburg haben im Rahmen des universitätsübergreifenden Forschungsvorhabens COMTESS in der Krummhörn Landflächen untersucht.

Das vom Bundesforschungsministerium geförderte Verbundforschungsvorhaben entwickelt Modelle, um die ökologischen Folgen eines Anstieg des Meeresspiegels für Ostfriesland abzuschätzen. Außerdem wollen die Wissenschaftler Gegenmaßnahmen entwickeln, die auch in anderen Gebieten der Nordseeküste von Bedeutung sind. Es werden darum auch „ökologische Vergleichsuntersuchungen in den Niederlanden (Region Zeeland) und in Dänemark (Region Aarhus) durchgeführt“, wie es auf der COMTESS-Homepage heißt.

Neben der Risikoanalyse ist es den Wissenschaftlern wichtig, die Interessen und Ansichten der Bewohner und Landnutzer vor Ort bei ihren Empfehlungen zu berücksichtigen. Deshalb fließen neben ökologischen und ökonomischen auch sozialwissenschaftliche Faktoren in die Forschung ein.

 

Das Problem ist weniger das Wasser vor dem Deich. Vielmehr werden Oberflächen- und Grundwasser zu einer Gefahr für Land und Leute. Der Regen hat sich in den letzten Jahren bereits merklich geändert und wird das auch weiter tun: Klimamodelle für die Region sagen voraus, dass der Niederschlag im Sommer weiter ab- und im Winter weiter zunehmen wird – ebenso wie „Extremwetterereignisse“, also zum Beispiel Starkregen und schwere Stürme.

Seit jeher ist Ostfriesland von einem dichten Netz aus Entwässerungsgräben durchzogen, ohne die ein Großteil der oft dem Meer abgerungenen Flächen sich in Sumpf und Moor verwandeln würden. Steigt der Meeresspiegel an, könnte die Entwässerung durch die heutigen Schlote und Siele gerade in der winterlichen Regensaison schwierig werden und nur noch mit großem Aufwand etwa in Form von Pumpen geleistet werden. Das allerdings würde die Versalzung von Grundwasser und Böden verstärken, da unter der Erde salziges Meerwasser ins Landesinnere gesogen würde.

Daher sprechen sich die Wissenschaftler auch dagegen aus, sich auf Deicherhöhung und Pumpwerke zu verlassen. Von den 700 km Deichlinie in Niedersachsen werden 7 km pro Jahr erneuert. Es würde also 100 Jahre dauern, um die gesamte Küstelinie neu zu befestigen. Diese herkömmliche Art des Küstenschutzes jedoch „wird sehr wahrscheinlich durch den beschleunigten Meeresspiegelanstieg und Veränderungen in hydrologischen Zyklen beschränkt“, wie die Wissenschaftler schreiben.

Stattdessen schlagen sie eine zweite Deichlinie vor. Das Zwischenland könne bei Bedarf geflutet werden. Ein solcher „Süßwasser-Flutpolder“ würde das Hinterland vom Salzwasserdruck entlasten. Alternativ könnten die Polderflächen mit Schilf bepflanzt werden, der das Treibhausgas CO2 in Form von Torf bindet. Auch wären sie zugleich als Biodiversität Schonung für Wiesenvögel und als Touristenattraktion geeignet.

 

Von einem Untergang Ostfrieslands gehen die Experten nicht aus. Voraussichtlich blieben „Milchviehhaltung und Grünlandbewirtschaftungen wie im Moment üblich. Überflutungen können die Landnutzung jedoch empfindlich stören, höhere Entwässerungskosten verursachen und damit die ökologische und ökonomische Tragfähigkeit dieser Form der Landnutzung verringern.“

Küstenschutz ist eine langfristige und vorausschauende Aufgabe, die nicht erst angepackt werden kann, wenn der Klimawandel auch für den Laien offensichtliche Auswirkungen auf das Leben in Ostfriesland hat. „Statt die Menschen in trügerischer Unwissenheit zu lassen, muss die Landesregierung jetzt die erfreulich breite Datengrundlage des Comtess-Projektes als konkrete Handlungsanweisung begreifen“, kommentierte Martin Wein vom Weser-Kurier. Die Wissenschaftler selbst gehen davon aus, dass man in Ostfriesland (wieder) wird lernen müssen, „mehr mit dem Wasser leben, als sich vor ihm zu schützen“, wie es in dem Video heißt, in dem das Forschungsprojekt vorgestellt wird:

Im Sommer werden die COMTESS-Ergebnisse in Form einer Wanderausstellung an der ostfriesischen Küste zu sehen sein.

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