Was ist Kunst? Ein Versuch.

(Norden) Vom Kirchenvater und Philosophen Augustinus ist die Aussage überliefert, er wisse sehr wohl, was Zeit sei, solange ihn nur niemand danach frage. Mit vielen anderen Begriffen verhält es sich genauso. Freiheit, Gerechtigkeit, klar! (Ja?) Und Malerei, Ballett, Thomas Mann, Mozart – das ist wohl alles Kunst.

Doch jede noch so kleine Nachfrage erweist die Gewissheit als trügerisch. Wenn Fotografie und Zeichnungen Kunst sind, was ist dann mit dem Bauplan, der mir zeigt, wie das Regal aufzubauen ist? Was ist mit dem Foto auf der Verpackung, das zeigt, wie das fertige Regal aussehen sollte und doch nie aussieht? Ist Dan Brown nicht genauso Kunst wie Thomas Mann? Muss etwas Greifbares dabei herauskommen wie beim Bildhauer oder Buchautor oder sind Musiker und Tänzer auch dann Künstler, wenn sie nicht aufgezeichnet werden?

Es sei an dieser Stelle der vielleicht tollkühne Versuch einer umfassenden Definition von Kunst gewagt:

Der öffentliche und originelle Gebrauch einer durch Übung erworbenen Fertigkeit, der nur den Regeln folgt und nur auf die Zwecke gerichtet ist, die in ihm selbst liegen.

Kunst siedelt sich nach dieser Definition zwischen Unterhaltung, Handwerk und Spiel an. Einige Beispiele sollen das Abstrakte anschaulich machen:

Laternenpfähle mit gestricktem Garn umhüllen: Kunst.

Günter Grass schreibt ein Gedicht, um vor einem israelischen Erstschlag gegen den Iran zu warnen: keine Kunst, sondern ein Aufsatz mit mehr Zeilenumbrüchen als nötig.

Ein Maurer schichtet auf einem Acker Steine so auf, dass sie aus der Luft den Schwitters-Schriftzug „Wählt Anna Blume!” bilden: Kunst, gerade noch.

Der Toaster wirft eine Brotscheibe aus, deren Bräunung wie die Mona Lisa aussieht: keine Kunst, denn es ist kein zielgerichtetes, geübtes Handeln im Spiel.

Brotscheiben werden mit Lack haltbar gemacht und auf eine grüne Spanplatte geklebt: Kunst.

Einer macht irgendwas, um das Publikum zu erfreuen, etwas zu verarbeiten, fit, berühmt oder reich zu werden: keine Kunst, da ein äußerer Zweck im Vordergrund steht.

Eine Tanzgruppe führt eine eigene Choreographie zu Tschaikowskis „Schwanensee“ auf: Kunst!

Dieselbe Gruppe nimmt mit derselben Choreographie an einem internationalen Tanzwettbewerb teil: keine Kunst, denn die Aufführung zielt auf den Wettkampfsieg.

Das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas von Peter Eisenman: keine Kunst, sondern ein Mahnmal.

Andy Warhols eigenes Siebdruckverfahren, mit dem er alltägliche Abbildungen vervielfältigte: Kunst!

 

Wie würden Sie die Frage beantworten, was Kunst sei? Schreiben Sie uns per E-Mail, Post oder Fax, was für Sie Kunst ist!

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