Deichbau – Fausts Weisheit letzter Schluss

(Norden) Der Rolle des Altkreises Norden als Dreh-, Angel- und Mittelpunkt der Erde angemessen ist sein Rang in der Weltliteratur. NOR-A hat mit Heinrich Heines Norderney-Reise bereits ein Beispiel vorgestellt. Von Gerd-Dieter Köther kommt nun der Hinweis auf den zweiten Teil von Goethes Faust-Tragödie.

Der Deichbau im Altkreis Norden ist das Letzte, was Goethes Faust bei der Frage nach dem Sinn des Lebens (zu Lebzeiten) einfällt.

Im fünften Akt ist Faust, der im Streben nach dem Sinn des Lebens einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist, noch kein bisschen weiter. Zwar hat er im zweiten Teil die gesamte Sagenwelt durchreist sowie dank Mephistopheles ein langes Leben im Wohlstand verbracht, doch der Moment, zu dem er sagen könnte, „Verweile doch!“ – und damit der Hauptgewinn in Mephistos Wette mit Gott – lässt noch auf sich warten. Im fünften Akt hört der erblindete Faust nun emsiges Arbeiten im Vorhof des Palasts. Die Lemuren, die ihm sein Grab schaufeln, hält er für Ostfriesen, die einen Deich bauen:

„Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt!
Es ist die Menge, die mir frönet,
Den Wellen ihre Grenze setzt,
Das Meer mit strengem Band umzieht.“ (11539-11543)

 Da kommt der sterbende Faust auf seinen letzten, vermeintlich rettenden Gedanken, wie er doch noch einen furiosen Sinn finden und dem Leben seinen Stempel aufzudrücken vermag – nämlich als Deichgraf, der für die Bedürftigen Land aufpoldern lässt:

„Eröffn‘ ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht‘ ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft‘ ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn. –
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß‘ ich jetzt den höchsten Augenblick.“ (11563-11586)

Die Marschen des Altkreises sehen – und sterben.

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